Auszug Gebäude, Orte und Ereignisse in Arheilgen
- „Oarhelljer Köpp“ Hedwig Grein – Lehrerin, Mutter, Pfarrfrau in schweren Zeiten (Teil 2)von Jürgen Hein-Benz
(jhb) Der Arheilger Geschichtsverein stellt in dieser Rubrik Menschen vor, die das Leben im Ort am Ruthsenbach prägten, den Alltag in besonderer Weise repräsentierten oder Leistungen erbrachten, die sie über die Ortsgrenzen hinaus bekannt gemacht haben.
Vorbemerkung in eigener Sache
(jhb) Wer Geschichtsbücher oder unsere Rubrik liest, kann schnell den Eindruck gewinnen, nur Männer machten Geschichte. Dies liegt an den überlieferten Quellen, historischen Rollen- und Machtverteilungen und dem jeweiligen Blick auf historische Entwicklungen: Welche Personen nehmen wir wahr, was ist uns wichtig, woran misst sich Bedeutung des menschlichen Handelns? Der Arheilger Geschichtsverein wird darauf achten, dass er mehr die weiblichen „Oarhelljer Köpp“ würdigt – ohne sie, wäre Arheilgen nicht so lebenswert wie es ist. Heute stellt Marga Kroeker-Benz Hedwig Grein vor, die aus der typischen Rollenverteilung ihrer Zeit wirkte und im Arheilger Kirchenkampf ein informelles Nachrichtennetzwerk knüpfte. Die Folge erscheint in zwei Teilen. Heute: Teil 2/2.
Die Pfarrfamilie Grein kommt nach Arheilgen
Nach dem Krieg tritt Karl Grein Anfang 1920 die Stelle als Pfarrer in Arheilgen an, auf die er sich schon im November 1918 beworben hatte.
Das vierte Kind Ilse Grein, ein echtes Arheilger Mädchen, wird geboren.
Wir wissen viel mehr darüber, was Karl Grein in dieser Zeit beschäftigte, denn er führte ständig Tagebuch und schrieb vieles auf. Über seine Frau Hedwig lesen wir zwischen den Zeilen. Ihre Tochter schrieb einmal, dass die Mutter nie in der Öffentlichkeit stehen wollte. Obwohl sie eine gute Geigerin war, scheute sie sich, in einem Streichquartett aufzutreten.
Aus der Zeit des Separatistenaufstandes im Herbst 1923 erfahren wir, wie Hedwig Grein 27 Arheilger Frauen ein Vorbild war. Da sich Arheilgen gegen einen Anschluss der Gemeinde an eine Rheinische Republik und eine Zusammenarbeit mit den Separatisten aussprach, hatte die damalige französische Besatzungsmacht Karl Grein und 27 weitere Arheilger im Oktober 1923 nach Wiesbaden verfrachtet und ins überfüllte Gefängnis gesteckt. Es war für Hedwig nicht leicht, ihren Mann im Gefängnis zu besuchen. Tapfer ging sie voran und machte sich mit den anderen Frauen jeden Freitag auf den Weg, um ihre gefangenen Männer zu besuchen. Heddi Kessel schrieb: „… die Bahngleise zwischen Arheilgen und Weiterstadt waren gesprengt. Züge fuhren nicht. So machten sich die Frauen in aller Frühe auf, noch bei Dunkelheit fuhren Bauern mit den Leiterwagen die Frauen nach Weiterstadt, wo sie dann einen Zug nach Wiesbaden bekamen.“ Zwei Monate später war der Separatistenspuk vorbei und alle Arheilger Männer wieder zu Hause. Und wie die Tochter Heddi sich erinnert, blieben die knappen Lebensmittel wieder daheim.
Hedwig Grein war für die Familie wie für die Gemeinde der zuverlässig ruhende Pol. Sie führte ein gastfreundliches offenes Pfarrhaus. Sowohl für die große Verwandtschaft wie für die Freunde der vier Kinder standen die Türen immer offen.
In den 1920er Jahren während der steigenden Arbeitslosigkeit und der zunehmenden Verarmung weiter Bevölkerungsteile wurde das Arheilger Pfarrhaus zur Anlaufstelle für Bedürftige. Die ganze Familie war eingebunden in Hilfsdienste. Karl Grein schrieb über seine Frau Hedwig: „Es war eine große Arbeit, in die das Pfarrhaus, die Pfarrfrau und später auch die Kinder ganz eingebunden wurden. Aber wie nahm Hedwig an allem teil, wie setzte sie sich ein, wie oft öffnete sie den Gästen unser Haus wie sie es von zu Hause gewohnt war.“
Hedwig übernahm die Leitung des evangelischen Frauenvereins – die Frauenhilfe hatte zeitweise um 200 Mitglieder. „Es war ihr nicht gegeben, in der Öffentlichkeit zu wirken, aber sie tat schlicht ihren Dienst in den wöchentlichen Abenden der Frauenhilfe in diesen bewegten und schweren Zeiten und zeigte damit ihren Glauben und ihr Gottvertrauen,“ schrieb Karl Grein.
Ein aufrechtes Leben unterm Hakenkreuz sichern
Die Frauen organisierten neben vielen anderen Dingen Basare, deren Erlöse regelmäßig der Ev. Kinderschule in der Bachstraße zugute kamen. Während der nationalsozialistischen Herrschaft, vor allem im Kirchenkampf mit den sogenannten Deutschen Christen, die der NS-Ideologie folgten, war Karl Grein vielen Repressalien ausgesetzt. So durfte er beispielsweise keine kirchlichen Nachrichten mehr veröffentlichen, Kirche und Gemeindehaus waren zugesperrt. In dieser Situation informierte ein Frauennetzwerk der Frauenhilfe die Gemeindemitglieder über die wechselnden Gottesdienstzeiten im Pfarrhaus und über Ereignisse in der Kirchengemeinde.
Gerade unter den Repressalien in der NS-Zeit und den zunehmenden Versorgungsengpässen in der Kriegszeit ist es sehr naheliegend, dass sich das Ehepaar Grein zu Hause beraten hat, wie man sich in dieser oder jener Situation am besten verhält. Die Familie und die Kirchengemeinde sollten möglichst unbeschadet, christlichen Werten und dem Glauben verpflichtet, den Lebensalltag bewältigen. Heddi schrieb über ihre Mutter: „Sie war immer gelassen, freundlich und nie ungeduldig.“
26 Jahre lang – bis zu ihrem Tod war Hedwig Grein die Vorsitzende der Frauenhilfe in Arheilgen. Mit zunehmendem Alter wurde Hedwig Grein stiller. Beide Söhne fielen im 2. Weltkrieg. Das schmerzte sie so sehr, vielleicht ging der Anfang einer Krankheit damit einher. Hedwig starb ein Jahr nach Kriegsende, im Sommer 1946.
Hedwig Grein war eine eigenständige Persönlichkeit mit ihrem eigenen, für die Zeit typischen Tätigkeitsfeld: Familie, Haus und Garten und einer damals sehr aktiven Frauenhilfe. Im Arheilger Kirchenkampf bot sie ihrer Familie den überlebensnotwendigen Rückhalt. Ihr Haus war ein lebendiges Zentrum in unserer evang. Kirchengemeinde in Arheilgen. Wir verdanken ihr sehr viel.
Wir bedanken uns bei Hans Heinrich Herwig für seine Unterstützung. Seine Biografie über Karl Grein und die von ihm herausgegebenen Kriegstagebücher des Feldgeistlichen Grein waren unsere wichtigsten Quellen.
Foto 4 – Familie Grein

Familie Grein 1926 im Arheilger Pfarrhausgarten. V.l.: Eduard, Heddi, Mutter Hedwig, Ilse, Vater Karl und Ernst. Beide Söhne fielen im 2.Weltkrieg.
(Foto: Fam. Herwig)Foto 5 – Pfarrhaus

Heddi Kessel, geb. Grein, erinnert sich an die ersten Jahre im Pfarrhaus: „Unser Pfarrhaus, alt aber groß und gemütlich, wurde uns schnell vertraut. Es gab einen Garten, einen großen Hof, Wiesen mit Obstbäumen. Alles war großräumig, überall – auch auf dem Kirchengelände – konnten wir mit Freunden, meist zahlreichen Nachbarkindern, unbeschwert spielen. (…) Schön dörflich war Arheilgen in diesen Jahren, wenige Autos fuhren damals. Morgens und abends wurden die Kühe durch unsere Straße zu und von den Weiden getrieben. Es gab einen Polizeidiener, der mit Hilfe seiner Schelle lautstark Nachrichten an den Straßenkreuzungen ausrief.“
(Text: Geschichten aus Alt-Arheilgen, S.301 ff, Foto: AGV/Fam. Herwig) - „Oarhelljer Köpp“ Hedwig Grein – Lehrerin, Mutter, Pfarrfrau in schweren Zeiten (Teil 1)von Jürgen Hein-Benz
Der Arheilger Geschichtsverein stellt in dieser Rubrik Menschen vor, die das Leben im Ort am Ruthsenbach prägten, den Alltag in besonderer Weise repräsentierten oder Leistungen erbrachten, die sie über die Ortsgrenzen hinaus bekannt gemacht haben.
Vorbemerkung in eigener Sache
(jhb) Wer Geschichtsbücher oder unsere Rubrik liest, kann schnell den Eindruck gewinnen, nur Männer machten Geschichte. Dies liegt an den überlieferten Quellen, historischen Rollen- und Machtverteilungen und dem jeweiligen Blick auf historische Entwicklungen: Welche Personen nehmen wir wahr, was ist uns wichtig, woran misst sich die Bedeutung des menschlichen Handelns? Der Arheilger Geschichtsverein wird darauf achten, dass er mehr die weiblichen „Oarhelljer Köpp“ würdigt – ohne sie, wäre Arheilgen nicht so lebenswert wie es ist. Heute stellt Marga Kroeker-Benz Hedwig Grein vor, die aus der typischen Rollenverteilung ihrer Zeit wirkte und im Arheilger Kirchenkampf ein informelles Nachrichtennetzwerk knüpfte. Die Folde erscheint in zwei Teilen. Heute: Teil 1/2.
Die Lehrerin Hedwig Lucius trifft den Theologiestudenten Karl Grein
(mk) Der Abend am 15. September 2025 im Gemeindehaus der Auferstehungskirche war dem Arheilger Pfarrer Karl Grein (1920 – 1952) und der Geschichte des Nagelkreuzes gewidmet, das noch heute die Standhaftigkeit vieler Arheilger und Arheilgerinnen und der Pfarrfamilie im Kirchenkampf symbolisiert. In dieser Diskussion wurde der feministische Geschichtsblick „nur kurz gestreift. Nun ist es an der Zeit zu zeigen, dassKarl Grein nur so tatkräftig in der Öffentlichkeit wirken konnte, weil er hinter sich Hedwig Grein, seine Ehefrau, wusste. Der Theologiestudent Karl Grein lernte Hedwig Lucius1903 während eines Besuches bei der befreundeten Familie Baur in Lindenfels kennen. Die Freundschaft zwischen den beiden Familien knüpfte bereits der Darmstädter Pfarrer und Hofprediger Ernst Philipp Grein, Karl Greins Vater. Karl Grein war auch kurz Hauslehrer bei einem Sohn der Familie Baur.
Hedwig Lucius, 1884 geboren, also drei Jahre jünger als Karl, stammte aus einer Mainzer Familie und wuchs mit fünf Schwestern und zwei Brüdern auf. Sie besuchte die höhere Mädchenschule und absolvierte die Ausbildung am Mainzer Großherzoglichen Lehrerinnenseminar, d.h. sie erwarb dadurch die Berechtigung, als Lehrerin an einer höheren Mädchenschule zu unterrichten. Zur Zeit des Besuches bei der Familie Baur unterrichtete Hedwig als Hauslehrerin die Kinder der Familie Freiensehner in Lindenfels. Die Familien Lucius und Freiensehner waren verwandtschaftlich verbunden.
1904 -1906 war Hedwig Lehrerin an der Privatschule „Lucius“, eines Verwandten in der Wetterau. Danach unterrichtete sie bis 1909 an einer höheren Mädchenschule in Büdingen. Schließlich beauftragte das Großherzogliche Ministerium des Innern Hedwig Lucius, eine Anstellung in der höheren Mädchenschule in Mainz zu übernehmen, um einen erkrankten Lehrer zu vertreten.
In dieser Zeit wechselten Briefe zwischen Hedwig Lucius und Karl Grein hin und her. Die jungen Menschen trafen sich gelegentlich und lernten sich kennen.
Die gemeinsamen Jahre bis zum Ende des 1.Weltkrieges
Karl Grein schwärmte von dem reichen Familienleben im Elternhaus von Hedwig Lucius in Mainz.
1908 verlobten sich Hedwig Lucius und Karl Grein. Ihren Beruf gab sie damit auf. Es war damals üblich, dass Frauen vor der Eheschließung ihre Berufstätigkeit quittierten, um sich auf die Ehe vorzubereiten. Auch durften Lehrerinnen damals nicht verheiratet sein, es gab das Lehrerinnen-Zölibat.
Hedwig und Karl Grein heirateten 1910. 1911 wurde der erste Sohn Ernst in Bretzenheim bei Mainz geboren, wo Karl Grein eine Pfarrerassistentenstelle versah.
Der zweite Sohn Eduard wurde 1913 in Kaichen bei Friedberg geboren, dem ersten festen Anstellungsort Karl Greins als Gemeindepfarrer von 1912 – 1919.
Nur vier Jahre konnte die junge Familie die Friedenszeit zusammen genießen. Im 1. Weltkrieg diente Karl Grein ab 1915 als Feldgeistlicher. Er wollte als Mann sein Heimatland verteidigen und bei den Soldaten an der Front sein, um ihnen seelischen Beistand und Trost zu geben. Zu Hause in Kaichen kam 1915 die Tochter Hedwig, genannt Heddi, zur Welt.
Aus diesen „Getrenntseins-Zeiten“, wie es Karl nannte, von 1915 bis Ende 1918 sind ca. 900 Briefe von Hedwig und über 600 von Karl erhalten. Sie erzählen vom Leben im Pfarrhaus in Kaichen und von den Kriegserlebnissen an der Front. Die Pfarrersfrau Hedwig Grein mit zwei kleinen lebhaften Buben und einem Säugling hatte zwar ein Hausmädchen, aber doch alle Hände voll zu tun. Die Lebensmittel wurden rationiert zugeteilt, so gab es beispielsweise für die Kinder nicht immer Milch und andere Grundnahrungsmittel. Im Sommer war der Gemüsegarten Lebensmittellieferant, vorausgesetzt, es wurde gut gegärtnert. Dann konnte die Familie etwas davon für den Winter konservieren. Einmal mästete Hedwig ein Schwein, das im Winter mit einer Genehmigung geschlachtet werden durfte. Dafür bekam sie staatlicherseits andere Lebensmittelzuteilungen abgezogen. Zugeteilt wurden auch Holz und Koks für die Einzelöfen in den Zimmern. Oft war nicht genug davon vorrätig und es galt, sich mit guten Nachbarn auszuhelfen, bis wieder etwas zu bekommen war. Das Leben war in dieser Zeit für keinen leicht – weder für die Soldaten an der Front, noch für die daheim gebliebenen Frauen mit ihren Kindern. So schrieb Hedwig einmal, dass sie sich am Ende ihrer Kraft und elend fühlt, weil sie für die Kinder zu wenig Zeit und Geduld aufbringt. Ein andermal lässt Hedwig ihren Mann teilhaben an den Erlebnissen mit den Kindern und berichtet von Geburtstagen, den ersten Schultagen von Sohn Ernst, den kleinen Entwicklungsschritten der Tochter Heddi und den Einfällen von Sohn Eduard. Auch informierte sie Karl über Ereignisse aus seiner Gemeinde und hielt ihn so auf dem Laufenden. Hedwig und Karl gaben sich in ihren Briefen gegenseitig Trost und Hoffnung auf bessere Zeiten.
Wir bedanken uns bei Hans Heinrich Herwig für seine Unterstützung. Seine Biografie über Karl Grein und die von ihm herausgegebenen Kriegstagebücher des Feldgeistlichen Grein waren unsere wichtigsten Quellen.
Foto 1 – Verlobung

Hedwig Lucius und Karl Grein verlobten sich zu Neujahr 1908. Zuvor gab sie – wie in bürgerlichen Familien damals üblich ihren Beruf als Lehrerin auf. Damals galt noch das sogenannte Lehrerinnen-Zölibat – Lehrerinnen hatten unverheiratet zu sein. (Foto: Fam. Herwig) Foto 2 – Feldgeistlicher

Im 1.Weltkrieg diente Karl Grein (Mitte hinten mit Vollbart) von 1915 bis 1918 als Festungsgeistlicher in Mainz und als Feldgeistlicher an der Westfront bei Verdun. In diesen „Getrenntsein-Zeiten“ schrieben sich Hedwig und Karl Grein rund 1500 Briefe, die erhalten geblieben sind. (Foto: AGV/Fam. Herwig) Foto 3 – Hedwig mit drei Kindern

Hedwig Grein mit den drei älteren Kindern, die vor der Arheilger Zeit auf die Welt kamen. Ernst wurde 1911 in Bretzenheim bei Mainz, Eduard 1913 in Kaichen bei Friedberg und Hedwig, genannt Heddi, 1915 ebenfalls in Kaichen geboren. (Foto: Fam. Herwig/AGV)

